WENN EINE HOSE ZUR SELBSTERFAHRUNG WIRD
Jedes Kleidungsstück in meinem Schrank ist ein Versprechen.
All die Röcke und Hosen, die Blusen, Jacken, Schuhe und Schals haben mir nicht nur Schönheit, Eleganz und Coolness versprochen, sondern ein ganz bestimmtes anderes Leben. Eine Sehnsucht, die nie erfüllt wird. Denn sind die Kleider erst einmal in meinem Besitz und ein paarmal getragen, lässt der Zauber nach und ich brauche etwas Neues. Irgendwann stelle ich fest: In der perfekten Hülle stecke wieder nur ich – unperfekt wie ich bin. Es ist, als würde mein Körper die idealisierten Phantasien zerstören. Mein Körper, den nicht zu mögen, ich, wie die meisten Frauen, von klein auf gelernt habe.
Es wird also Zeit für eine Bestandsaufnahme, für ein paar grundlegende Fragen:
Möchte ich bis an mein Lebensende so weiter machen? Um eines Tages unzufrieden zu sterben, den Schrank voller Klamotten? Nein, möchte ich nicht. Ich möchte umlernen. Kleidung nicht mehr dafür aussuchen, dass sie mich zu jemand anderem macht, sondern mich darin unterstützt, auf gute Weise ich zu sein.
Also fasse ich den Entschluss, dem Impuls, Kleidung zu kaufen, wenn ich mich mit mir selbst unwohl fühle, nicht mehr nachzugeben. Ich beschließe ehrlich zu erforschen, was das Anziehen mit mir macht, welches Stück wie wirkt, womit ich mich wohl fühle, was ich brauche.
Foto Links: Workerhose 05| mit einer Knopfleiste und Passentasche aus einem weich fallendem zertifizierten Cotton in der Farbe Nachtblau, kombiniert mit einem oversized Shirt in der Farbe Kirschblüte (Privat)
Foto Rechts: Workerhose 05| mit einer Knopfleiste und Passentasche aus einem robusten Cotton-Twill in der Farbe Orange, kombiniert mit einem oversized Shirt in der Farbe Kirschblüte (Privat)
Das erste Teil auf dem neuen Weg ist eine dunkelblaue Hose mit weitem Bein.
Ich habe sie nicht gesucht, wir sind uns zufällig begegnet, als ich Karin Jordan für ein Interview in ihrem Atelier besucht habe. Ich kannte ihre Mode nicht und hatte Lust, einmal etwas anzuziehen. In der Kabine hängt kein Spiegel, so war der erste Eindruck das angenehme Gefühl des weichen Stoffes auf der Haut. Auch als ich aus der Kabine trat, ging es zunächst nicht um das Spiegelbild. Ich bewegte mich leicht, das fühlte sich gut an. Dann sah ich, dass in den Hosenbeinen, die auf meinen Stiefeln auflagen, meine Beine lang aussahen. Und ich insgesamt recht schlank. Ein Pluspunkt für eine, die sich ständig zu dick fühlt.
Foto Links: Kimono 05| mit einem angeschnittenem Kragen aus Punto di Roma in der Farbe Horizontblau kombiniert mit unserer Workerhose 05 aus robustem Cotton-Twill in der Farbe Orange
Foto Rechts: Kimono 05| mit einem angeschnittenem Kragen aus Punto di Roma in der Farbe Horizontblau kombiniert mit unserer Workerhose05| aus einem weich fallendem zertifizierten Cotton in der Farbe Nachtblau
Die Hose zu tragen, fühlt sich sehr ungewohnt an. Der Bund ist nicht eng, mein Bauch hat Platz. Das ist sehr bequem, aber auch irgendwie ein Wagnis. Darf ich meinem Bauch Platz lassen? Ihn sich einfach so unverschämt Raum nehmen lassen in seiner Wechseljahresfülle?
Mir wird bewusst, dass mein perfektes Hosengefühl bisher so aussah: Eine ein bisschen zu enge Jeans nach einer Woche Hungern – der mühsam erarbeitete Zentimeter mehr Luft wie ein Triumph. Bei diesem Spiel macht die Jordanhose nicht mit. Sie passt mir einfach, passt sich meinem Körper an, als wäre er genauso, wie er ist, richtig. Und leistet damit dem Gedanken Vorschub: Vielleicht ist mein Körper ja, genauso wie er ist, richtig. Kann ich das glauben? Und kann ich damit leben, dass diese Hose mir keine Rolle zuweist, sondern mich irgendwie im Ungewissen lässt?
Foto Links: Workerhose 05| mit einer Knopfleiste und Passentasche aus einem weich fallendem zertifizierten Cotton in der Farbe Nachtblau, kombiniert mit einer Cotton Bluse mit Spitzenaplikation (Privat)
Foto Rechts: Workerhose 05| mit einer Knopfleiste und Passentasche aus einem robusten Cotton-Twill in der Farbe Orange, kombiniert mit einer Cotton Bluse mit Spitzenaplikation (Privat)
Sie ist das Gegenteil einer Verkleidung, wirft mich auf mich selbst zurück.
Ich mag das nicht immer, scheine ich mich doch im Imaginären so viel sicherer zu fühlen als in der körperlichen Welt. Ich ahne, dass die Hose wie ein Trainingsgerät funktioniert: ein Selbstliebetrainingsgerät. Und Training kann ja durchaus auch mal anstrengend sein.
Andererseits macht sie es mir auch leicht. Sie passt zu fast allem und sie lässt mich einfach machen. Ganz buchstäblich – Spaziergang, auf dem Boden sitzen und Kollagen basteln, spontane Yogaübung oder Mittagsschlaf – geht alles, nichts drückt, spannt oder stört. Ich trage die Workerhose zurzeit fast jeden Tag und gewöhne mich an mein neues Habitat.
Diesen Raum jenseits aller Vorstellungen davon, wer ich sein könnte oder sollte. Ein Raum, in dem ich, wenn ich will, alles sein kann oder überhaupt nichts. Mal sehen, was sich so ergibt.
Foto Links: Workerhose 05 aus robustem Cotton-Twill in der Farbe Orange, kombiniert mit unserem Pullover 05| mit einem Wasserfallkragen aus Bio Cotton in der Farbe Amethyst
Foto Rechts: Workerhose 05 aus robustem Cotton-Twill in der Farbe Orange, kombiniert mit unserem Kimonjäckchen 01| mit Reißverschluss aus Viskosekrepp in der Farbe Schwarz
Zwei Jahre später
Inzwischen trainiere ich seit über zwei Jahren und ganz allmählich, fast unbemerkt, bin ich tatsächlich besser darin geworden, meinen Körper, so wie er ist, zu akzeptieren. Ich stelle das immer dann fest, wenn ich mich kurz in ein Kleidungsstück hineinquetsche und dann schnell wieder beschließe: „Nein, mache ich nicht“ und es wieder ausziehe. Mein gelegentlicher Wunsch nach Extravaganz ist aber immer noch da – um diesen Aspekt auch leben zu dürfen, habe ich mir die Workerhose jetzt auch in der Knallfarbe Orange erlaubt. Was ich in ihr so alles lernen werde, werde ich herausfinden. Und erfüllt jetzt schon mein neugieriges Wesen.
Foto Links: Workerhose 05 aus einem weich fallendem zertifizierten Cotton in der Farbe Nachtblau, kombiniert mit einem Kaschmirpullover in der Farbe Creme (Privat)
Foto Rechts: Workerhose 05| mit einer Knopfleiste und Passentasche aus einem robusten Cotton-Twill in der Farbe Orange, kombiniert mit einem Kaschmirpullover in der Farbe Creme (Privat)
Aufzeichnung von Bettina Homann, Redakteurin, Autorin, Künstlerin und Kuratorin von Berlinage und https://www.bettina hohmann.de
Fotos Burkhard Voiges, Künstler und Herausgeber von: https://www.deutsch.berlin