Bekleiden und begleiten
Seit 30 Jahren macht Karin Jordan Mode, die Frauen in ihrem Selbstwertgefühl bestärkt. Eine unwahrscheinliche Erfolgsgeschichte.
Sich in einem Wirtschaftszweig zu behaupten, ohne sich den geltenden Regeln zu unterwerfen, ist wirklich beachtlich. Karin Jordans Arbeitsphilosophie, ihre Einstellung und die Art, wie sie ihr Geschäft aufgebaut hat, widersprechen den Grundsätzen der Modeindustrie. Paradoxerweise ist es genau das, was JORDAN zu einer einzigartigen und erfolgreichen Marke gemacht hat. Karin Jordan ist unbeirrbar auf eine leise und hartnäckige Art, die trotz aller Rückschläge – oder gerade wegen ihnen – ihrer Vision treu bleibt. „Mode muss den Menschen dienen und nicht der Mensch der Mode“. Krisen betrachtet sie als „Situationen, in denen das Leben mir die Hand gereicht hat und ich mich in Turbo Geschwindigkeit weiterentwickeln durfte“.
Am 14. September ist es 30 Jahre her, dass Karin Jordan ihr gleichnamiges Label gegründet hat. Von Anfang an hat sie so ziemlich alles anders gemacht als es in der Modeszene üblich ist. Immer hat sie, wie sie es ausdrückt, Mode „von Innen nach Außen“ entwickelt, Kleidung entworfen, die Frauen ermächtigt, ihr Potenzial zu leben. Es ging ihr nie darum, glamouröse Bilder zu erzeugen, sondern „Kleidung, in der man wohnen kann.“ Die eigene Wohnung ist – im Idealfall – der Ort, an dem man sich sicher fühlt, sich nicht verstellen muss. Einen Raum, in dem man sich zeigen kann, wie man ist und dennoch geschützt ist, will Karin Jordan mit ihrer Kleidung anbieten. Brauchst du eine elastische Hose, in der du deinen dynamischen Bewegungsdrang ausleben kannst? Oder gibt dir eine klare Begrenzung Sicherheit und Halt? Was sich nach abstrakten Fragen anhören mag, ist tatsächlich die Grundlage für Kleidung, in der man sich wohlfühlt. Daher geht jedem Kauf bei Karin Jordan ein ausführliches Gespräch voraus, das sich schon mal anfühlen kann wie eine therapeutische Sitzung. In der Kabine, in die Jordan anschließend eine Auswahl an Kleidungsstücken hineinreicht, gibt es keinen Spiegel. Am Anfang soll das Fühlen stehen. Das haben viele von uns, nach jahrzehntelanger Prägung durch die Modeindustrie, verlernt. Weil wir darauf konditioniert sind, Idealbildern nachzueifern, auf bestimmte Weise aussehen zu wollen. Kommt eine Kundin aus der Kabine, beobachtet Jordan, wie sie sich bewegt, wie sie atmet, ob ihre Körpersprache dem entspricht, was sie sagt.
Das Foto aus dem Jahr 1994 zeigt eine Jacke im Chanel-Stil, passend zur schmalen, androgynen Hose aus meiner ersten Herbst/Winter Kollektion.
Ein Anorak, der sich falsch anfühlte
Seit über 30 Jahren hat sie diesen Blick geschult, die Intuition hatte sie schon als Kleinkind. Die Mutter erzählt, dass das ansonsten friedliche Baby sich vehement wehrte, wenn ihm Kleidung angezogen wurde, die es nicht mochte. Ein Anorak, auf dessen Kapuze die Haare unangenehm auflagen, war dem kleinen Mädchen so unerträglich, dass es den Vater überzeugte, ihm einen Wollmantel zu kaufen. Früh fand die kleine Karin heraus, wie sie ihre Hosen so umnähen konnte, dass sie ihr den Bewegungsspielraum gaben, den sie brauchte. „Die Fähigkeit, mein Erleben in Wohlfühl-Kleidung zu übersetzen, habe ich entwickelt, um meine intensiven Gefühle und Beobachtungen zu regulieren“, ist Jordan rückblickend überzeugt. Dieses Erleben weckte das Interesse an Mode.
Jordan lernte Kostümschneiderin am Stadttheater ihrer Heimatstadt Leipzig, studierte Mode an der Fachhochschule für angewandte Kunst in Schneeberg, arbeitete in der DDR-Modeindustrie und für die Modezeitschrift Sibylle, studierte ein zweites Mal an der Kunsthochschule Weißensee. Zum Examen kam die Wende. Danach arbeitete sie noch eine Weile als Kostümbildnerin, merkte aber immer mehr, dass das nicht ihrs war. „Das hat mich nicht froh gemacht, ich wollte näher an die Menschen heran“, sagt sie.
Die Fotos entstanden 1994 und zeigen einen tabakfarbenen Sakko-Mantel mit Golffalte aus einer strukturierten Schurwolle in Vorder- und Rückenansicht. Passend dazu eine schmale, androgyne Hose in Anthrazit.
Freundschaftlicher Dialog
Mit der Anprobe beginnt ein behutsamer Annäherungsprozess zwischen Kundin und Designerin, in der Jordan Frauen dabei unterstützt, ihr „inneres Korsett“ abzulegen. „Wer jahrelang vom Modemarkt geprägt ist, hat oft recht feste Vorstellungen davon, was geht und was nicht“, so Jordan. Oft kann die Designerin ein Potenzial sehen, eine mögliche persönliche Entwicklung, die die Kundin sich selbst noch gar nicht zutraut. Es kann dann ein wenig dauern, bis diese beginnt, „in den Raum hinein zu vertrauen, zu verstehen, was da für ein Potenzial drin steckt.“ Der Beratungsprozess ist sehr persönlich. „Es entsteht ein Dialog der freundschaftlich geprägt ist“, sagt Jordan. Der Designerin ist es ein Herzensanliegen, ihre Kundinnen zu bekleiden und zu begleiten. In ihrer weichen Aussprache, der die sächsische Heimat anzuhören ist, klingen diese beiden Worte tatsächlich recht ähnlich.
Dieses wohlwollende Gesehenwerden tut gut, und wer es erlebt hat, kommt in der Regel wieder. Ungefähr 1000 Kundinnen hat Jordan, viele aus Wirtschaft und Politik, Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, die gut angezogen sein wollen, ohne jeden Morgen viel Zeit vor dem Spiegel zu verbringen. Und die sich nicht mehr vorstellen können, sich anderswo einzukleiden. Als Jordan im Corona-Lockdown ihr Atelier schließen musste, haben einige sofort für viele Tausend Euro bestellt. „Allein aus Eigeninteresse“, schrieb eine, „wie soll ich weiterleben ohne JORDAN?“
Dreiteiliger Look aus der Herbst/ Winter Kollektion 1994, bestehend aus einem langen, leicht ausgestellten Rock mit einem dazu passendem kragenlosen Oberteil und einer knöchellangen Weste. Alle drei Modelle wurden aus einem schwarzen, strukturierten Schurwollstoff als Kombination hergestellt. Die ersten 3 Fotos im Artikel: Burkhard Voiges, Model: Iris Meier
Die organisch wachsende Kollektion
Nach Gründung ihres Labels war für Jordan bald klar, dass der in der Mode übliche Rhythmus zu ihrem Ansatz nicht passt. Statt zwei Kollektionen jährlich hat sie eine Art Baukastensystem entwickelt, das in Produktfamilien eingeteilt ist – Hosen, Oberteile, ein- und zweiteilige Kleider, Mäntel und Jacken. Meist einfarbig, viel aus Jersey. Alles wird im eigenen Atelier aus hochwertigen, teilweise GOTS-zertifizierten Stoffen gefertigt. Anders als bei anderen Modedesignern wird die Weiterentwicklung nicht durch die Eindrücke einer Dschungelreise inspiriert, sondern aus innerem Antrieb. „Ich laufe durchs Leben, spüre in mich hinein und frage mich: Welchen Raum bräuchte es gerade und wie lässt sich das für unsere Kundinnen in ein neues Modell übersetzen? Wo sind die gemeinsam empfundenen Schnittmengen?“ beschreibt Jordan den Prozess. Während in den ersten Jahren Anzüge im Mittelpunkt der Kollektion standen, sind es jetzt deutlich individuellere und informellere Kombinationen, die dem eigenen Wahrnehmungsstil der Frauen und der immer fluider werdenden Zeit entsprechen.
Auch die Belieferung des Einzelhandels und das Auslagern der Produktion hat für Jordan nicht funktioniert. Kurz nach Gründung des Labels hat sie den Versuch gemacht, einzelne Teile, die sich ihrer Meinung nach gut vervielfältigen ließen, in einer Zwischenmeisterei fertigen zu lassen. „Die Sachen, die von dort zurückkamen, waren tot“, sagt sie. „Wir arbeiten hier mit warmer Hand“ beschreibt die Designerin den Unterschied. Gleitet die erfahrene Hand von Karin Jordan etwa die Schulter entlang, ertastet sie die Kurve, die vom Hals abfällt, eine Kuhle bildet und sich am Schultergelenk wieder hebt. „Auf dieser kurzen Strecke findet ganz viel statt“, sagt Jordan, meine Mitarbeiterinnen und ich arbeiten das exakt aus.“ Das Ergebnis wird als angenehm erleichternd und aufstrebend erlebt.
Diese beiden Fotos entstanden für die Frühjahr/ Sommer Kollektion 2002 und zeigen links im Bild eine weiße Baumwollbluse mit Kelchkragen und rechts im Bild sommerliche Kombinationen aus einem weißen, knöchellangen Baumwollrock, getragen mit einem passenden ärmellosen weißen Top und daneben im Bild, eine Workerhose aus einem Leinen-Baumwoll-Gemisch in der Farbe Stroh, kombiniert mit einem aprikotfarbenen Top aus Jersey. Fotos: Nikole Woischwill, Model: Sandra und Valeska
Die unsichtbare Konstruktion
Das Spüren ist eine Sache. Für die Umsetzung reicht die Intuition nicht aus. Wie aus einer Architekturskizze nur mit sehr viel technischer Fertigkeit ein Haus wird, wird aus einer Idee nur mit Wissen darum, wie Schnitte funktionieren ein Kleidungsstück. Schnitttechnik hat Jordan schon immer fasziniert, deshalb hat sie sich neben der Schneiderlehre einen Schnittmeister gesucht, von dem sie lernen konnte. Und auch im Design-Studium an der Kunsthochschule Weißensee hat sie den „Dozentinnen auf den Füßen gestanden“, als alle anderen Studierenden schon nach Hause gegangen waren. Konstruktion darf für sie allerdings nie formal im Vordergrund stehen – „der Mensch nicht zur Litfaßsäule für die Ideen des Designers werden.“
Diese beiden Fotos entstanden für die Herbst/ Winter Kollektion 2003 und zeigen links im Bild zwei schwarze Kleider mit Stehbündchen und Kängeruhtaschen, die in ihrer Eleganz dadaurch ein wohliges Tragegefühl ermöglichen. Foto: Nicole Woischwill, Model: Sandra und Valeska
Vom Loslassen und Ankommen
Es gab einige Stationen bis zu ihrem heutigen Standort, einem hellen Atelier mit angeschlossener Werkstatt im Backsteinhof der Frauengenossenschaft in der Anklamer Straße in Berlin Mitte. Es begann in einem kleinen Ladenlokal in Friedenau mit Werkstatt im Souterrain und regelmäßigen Events mit Essen und Filmscreenings. Die ersten Kundinnen waren Freundinnen und Freundinnen von Freundinnen. Eineinhalb Jahre später zog Jordan in die Hackeschen Höfe.
So genau sie wusste, was sie wollte, so sehr sie von ihrer Vision, ihrem gesellschaftlichen – ja revolutionären – Auftrag überzeugt ist – eine Selbstdarstellerin ist sie nicht. 2005 beschloss sie, sichtbarer zu werden und nutzte ihre Ersparnisse, um innerhalb der Hackeschen Höfe umzuziehen, nach vorne in den zentralen Hof 4. Was sie nicht ahnte: Genau zu dieser Zeit brach der Mitte-Boom los, Busladungen von Menschen ergossen sich in die Hackeschen Höfe, die sich von einem Standort für hochwertiges Design und Handwerk in einen Touristen Hot Spot verwandelten. Hier, so wurde Jordan klar, konnte sie ihr Konzept nicht mehr verwirklichen. „Ich habe regelmäßig vor meinem Laden auf der Bank gesessen und geweint“, sagt sie. Weil es aller wirtschaftlichen Vernunft widersprach, wegzugehen, nachdem sie gerade so viel investiert hatte in eine so genannte beste Ladenlage. „Spring und das Netz wird erscheinen“, sagt ein Zen-Sprichwort. Klingt gut, wenn man es auf Facebook postet, aber wirklich machen?
Karin Jordan ist gesprungen. Sie kündigte ihren Mietvertrag, ohne zu wissen, wie es weitergehen würde. Aber mit der Ahnung, dass sie ihrem ureigenem Weg wieder Platz machen muss. Und das Netz erschien – in der Weiberwirtschaft wurden Räume frei, in den sie 2010 einziehen konnte. Hier kann sie heute feiern, was sie geschafft hat.
Für immer angekommen ist sie wahrscheinlich nicht. Weil man ja nie weiß, wann das Leben einem die Hand reicht, um einen weiterzuführen.
30 Jahre Jordan von Bettina Homann, Redakteurin, Autorin, Künstlerin https://bettinahomann.de